"Wo sich Christentum und Sozialismus berühren, könnte ein Reizthema unter Gläubigen entstehen", sagt Pfarrer Damian Brot. "Dies löst vielleicht bei jedem Menschen und ganz unterschiedlich ein Befremden aus", sagt Renata Egli-Gerber, die Verantwortliche des Café-Treff Philosophie. Dafür bietet das Café-Treff Philosophie eine Plattform, um sich mit Menschen auszutauschen.
An drei Daten, am 25. März, 29. April und 1. Mai laden die Verantwortlichen der Evangelischen Kirchgemeinde Kreuzlingen Interessierte und hoffentlich viele Besucherinnen und Besuchern aller Konfessionen ein, in der Kirche Kurzrickenbach Kreuzlingen bei einem oder mehreren Anlässen dabei zu sein. Es ist gleichzeitig der Ort, wo sich das Open Place, der soziale Treffpunkt für hilfsbedürftige Menschen befindet.
Egli sagt: "Seit 2016 treffen wir uns in der Regel alle zwei Monate im Open Place zum Philosophieren über ein bestimmtes Thema. Erfreulich viele Menschen jeden Alters, verschiedener Religionen und Konfessionen besuchen diese Treffen." Das Team setzt jeweils ein Jahresthema fest. Die kommende Ausgabe ist dem Thema "Christentum und Sozialismus" gewidmet.
Fachpersonen eröffnen die kommenden Veranstaltungen mit einem einleitenden Referat. Danach sind die Anwesenden dazu eingeladen, ihre eigenen Gedanken einzubringen und Fragen zu stellen. "Es braucht dazu keine besondere Vorbildung", sagt Renata Egli-Gerber. Denn Philosophieren sei ein zutiefst menschliches Bedürfnis und eine natürliche Fähigkeit.
Drei Daten zum Vormerken
Am Freitag 25. März, 20 Uhr, wird Pfarrer Johannes Bardill von Horgen das Einführungsreferat halten und dabei den Schwerpunkt auf die evangelisch-reformierte Sicht der Dinge legen.
Für Freitag, 29. April, 20 Uhr, konnte Markus Ries gewonnen werden. Ries ist Professor für Kirchengeschichte an der Universität Luzern und Prorektor. Er wird einen Blick auf den Zugang der Katholischen Kirche zu dieser Thematik werfen.
Den Abschluss der philosophischen Reihe bildet am Sonntag, 1. Mai, 10 Uhr, der Dialoggottesdienst mit Pfarrer Damian Brot und der Thurgauer SP-Präsidentin und Kantonsrätin Nina Schläfli.
An allen drei Veranstaltungen wird den Besucherinnen und Besuchern etwas zu essen und zu trinken angeboten.
Widerstand entwickelte sich mit der Industrialisierung
In einem Schreiben an Pfarrer Damian Brot erklärt der 55-jährige Pfarrer Johannes Bardill den religiösen Sozialismus wie folgt: Dieser habe seinen Ursprung in den gesellschaftlichen Umbrüchen, welche die Industrialisierung vor etwas mehr als 120 Jahren mit sich brachte. Weil sich damals grosse Teile der offiziellen Kirchen und der universitären Theologie gegen die teils revolutionär vorgebrachten Anliegen der ausgebeuteten Arbeiterschaft stellte, erwuchs aus der pietistischen Frömmigkeit Widerstand.
Die Hoffnung auf das Reich Gottes, um dessen Kommen in jedem Gottesdienst gebetet wurde und wird, darf sich nicht nur auf das Jenseits beschränken, sie muss in der Gegenwart Gestalt annehmen. In den Forderungen der streikenden Arbeiterschaft erkannten Theologen wie zum Beispiel der Schweizer Leonhard Ragaz die Sehnsucht nach den biblischen Verheissungen für Arme und Notleidende. Plakativ kann religiöser Sozialismus auf die folgende Kurzformel gebracht werden: Die satte bürgerliche Kirche möchte zwar Gott, aber nicht sein Reich, die Revolutionäre Arbeiterschaft möchte das Reich, aber ohne Gott.
Opium des Volkes
Der religiöse Sozialismus warnt, dass Kirche ohne diesseitige Hoffnungsperspektiven zur reinen Vertröstungsinstitution verkommt und, mit Marx gesprochen, zum «Opium des Volkes» wird. Aber auch, dass Sozialismus ohne Verantwortung vor Gott schnell zur Dystopie wird, was das letzte Jahrhundert mit dem Nationalsozialismus oder dem realexistierenden Sozialismus der DDR deutlich gezeigt hat. Die Brennpunkte des religiösen Sozialismus haben sich seit dem Ursprung teilwiese verlagert, sind aber in ihrer Stossrichtung die gleichen geblieben. In der Schweiz steht die religiös sozialistische Bewegung auch heute noch zwischen politischen Parteien wie der SPS, in deren DNA ein Grundmisstrauen gegen alles Religiöse angelegt ist, und den Kirchen, in denen die Meinung weit verbreitet ist, es gehe im Glauben vor allem um das persönliche Seelenheil, was mit Politik nichts zu tun habe.