Home Region Sport Schweiz/Ausland Magazin Agenda
Region
27.04.2023

Liebevoll umsorgt oder eifersüchtig überwacht?

Viele bemerken zu spät, dass der Scherbenhaufen zu gross geworden ist. Bild: PD
Die Selbsthilfe Thurgau initiiert Selbsthilfegruppen zu verschiedenen Themen. Ein Bericht über Narrzismus von Regina Pauli, der Stellenleiterin der Organisation.

Etwas verhalten und scheu wirkte Tamara S* als sie eines Tages ins Zentrum der Selbsthilfe Thurgau kommt. Viel Mut musste sie aufbringen, um sich auf die Suche nach Lösungswegen für ihre Situation zu begeben. Wir setzen uns zum Gespräch und sie möchte fast als erstes Wissen, ob sie hier frei reden könne und davon nichts hinausgetragen wird. Sie wäre sonst in ernsthafter Gefahr. Sie habe nur unter einem Vorwand rasch weggehen können. Durch die Zusicherung, dass Verschwiegenheit bei Selbsthilfe oberstes Gebot ist, wirkt Tamara rasch gelöster. Ihre vergangenen Wochen waren sehr belastend.

Späte Erkenntnisse

Nach langer Zeit hat sie erkennt, dass sie mit einem Mann, der schwere narzisstische Züge hat verheiratet ist. «Ich war stets überzeugt, dass dies der Mann ist, mit welchem ich durchs Leben gehen möchte. Und jetzt nach Jahren, in denen mir mehr und mehr alle sozialen Kontakte untergraben wurden, muss ich mich wieder neu orientieren.» Tamara ist eine starke Persönlichkeit und hat eine Hochschulbildung. Sie kann es noch gar nicht verstehen, wie es soweit kommen konnte, dass sie sich aufgab, alles machte und umstellte, in der Hoffnung, dem Partner zu genügen und zu hoffen, dass er doch glücklich wäre. Sie dachte, wenn er es wäre, fände sie auch das Glück.

Alle ihre Beziehungen wurden von ihrem Partner schlecht geredet und sie wurde so abgeschottet. Dass es ihm gelang, durch quasi liebevolles Zureden, sie sich so schonen könne und es leichter haben sollte, dass sie sogar ihren Beruf aufgab, kann sie heute nicht mehr fassen. «Ich bin langsam und wie unbemerkt zu einer anderen Person geworden. Dass mir das passiert, hätte ich nicht für möglich gehalten». Menschen mit starken narzisstischem verhalten sind vermeintlich sehr liebevoll und umsorgt. Oft steckt aber Eifersucht und starkes An-sich-Binden eine Rolle. So konnte auch Tamara kaum noch eigene Zeiten mit anderen Personen verbringen.

Beobachtet und verfolgt

Sie wurde ständig beobachtet und ihre Begegnungen oder Gespräche wurde genauestens abgefragt und erkundet. «Erst schaute ich das als Zuwendung an. Ich konnte zuletzt das Haus nicht mehr verlassen, ohne dass er alles kontrollierte, oder er telefonierte mir ständig. Dann machte ich mir selbst Vorwürfe und dachte, ich mache etwas falsch, ich bin komisch. Erst als es mir quasi die Luft abschnitt und ich Beratung suchte, begann ich zu realisieren, dass es nicht an mir liegt.» Nun sucht Tamara Menschen, die Gleiches erlebt haben, um auszutauschen und sich gegenseitig in Lösungswegen zu unterstützen. Anfragen zu schliessen, die bei Selbsthilfe Thurgau eingehen, gibt viele Betroffene. «Ich weiss, es ist sicher auch für andere ein grosser Schritt, sich zu wagen, sich wieder selbst zu sein. Aber es ist wichtig – nur schon zum Überleben. Ich möchte wieder ich sein, Freude und Selbstsicherheit zurückgewinnen. Ich bin überzeugt, gemeinsam ist das leichter.» sagt Tamara.

Die Selbsthilfe Thurgau unterstützt zurzeit eine weitere Gruppe mit der Thematik «Angehörigen von Menschen mit narzisstischen Zügen». Gruppen zu vielen anderen  Themen existieren oder werden nach Bedarf gegründet.

*Name geändert.

Regina Pauli