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19.12.2024

Wenn aus Winter Wärme wird - Teil 19

Wenn aus Winter Wärme wird – ein Winterroman mit viel Liebe, Spannung und Drama.
Mit ihrem Winterroman ,,Wenn aus Winter Wärme wird " nimmt die Autorin Astrid Töpfner die Leser mit auf eine spannende Reise in die schneebedeckten Schweizer Berge. Tauchen Sie ein in die Winterstimmung mit viel Gefühl und Drama – mit dem Kreuzlingen24-Adventskalender.

16. Dezember

Florian

Die Tür fiel hinter Kati und Chasper ins Schloss und sofort kehrte eine relative Stille ein, das Fauchen des Windes nur noch ein Flüstern.

»Flo?«, hörte er Emma erneut rufen und drehte sich um. Sie stand in der Tür zum Kaminzimmer, ein Schatten vor dem warmen Schimmer des Feuers. »Komm, Flo«, bat sie.

Er machte einen Schritt in ihre Richtung. Dann schüttelte er langsam den Kopf. »Ich muss Tania suchen.«

»Das musst du nicht.« Er hörte das Flehen in ihrer Stimme. »Bleib bei mir.«

Er fühlte an sich gerissen, obwohl er völlig allein stand, die Worte seiner Mutter im Kopf. Aber es war an der Zeit, seinem Herzen zu folgen. »Es tut mir leid, Emma, wirklich.« Mit einem Ruck zog er den Reißverschluss seiner Jacke zu und wollte Kati und Chasper folgen.

»Lass, Florian«, sagte da Rebecca sanft, die an Martha gelehnt in der Dunkelheit stand. »Es reicht, wenn zwei sich in Gefahr begeben. Wenn jemand Tania finden kann, dann Chasper. Du kennst dich hier nicht aus.« Dann wurde sie wieder von einem Weinkrampf geschüttelt.

»Sie hat recht«, bekräftigte Martha. »Wir sollten alle wieder in die Wärme gehen.« Sie schob Rebekka Emma in die Arme.

»Aber …«

»Lass gut sein«, herrschte Martha ihn mit einer Dominanz an, die ihm bislang nicht an ihr aufgefallen war. »Mach dich hier nützlich. Chasper hat irgendwann telefoniert, such das Telefon, such eine Nummer, ruf an, wenn es noch Batterie hat, um zu informieren, dass wir einen Notfall haben. Du könntest Wasser erhitzen, für mehr Tee. Tust du das, Florian, bitte? Du kennst dich in der Küche aus. Sie werden furchtbar frieren, wenn sie zurückkommen.«

Wenn sie zurückkommen. Nicht falls. Denn natürlich kämen sie zurück, das war nicht die Arktis, so schnell erfror man nicht. Oder? Es war ja schon hier arschkalt, wenn man nicht in der Nähe des Kamins stand. Verdammt, es hätte einfach ein romantisches Wochenende werden sollen, seine Beziehung hatte er kitten wollen, dachte er, fummelte leicht hysterisch sein Handy wieder aus der Hosentasche, denn Martha hatte die Tür geschlossen und er stand in der absoluten Dunkelheit. Das Telefon fiel ihm aus den kalten Fingern, »verdammt, verdammt, verdammt!«, fluchte er erneut, seine Kehle ganz eng. »Verdammt, Papa! Hättest du wirklich nicht ein zentraleres Hotel buchen können?« Dann würde er jetzt nicht hier festsitzen, sondern woanders. Er hätte Tania nicht kennengelernt und würde mit Emma Wohnungen suchen und sich dabei fröhlich selbst belügen. Verdammt! Er wollte zu Hause sein, bei seinen Eltern, auf der Couch fläzen, er würde sich ein ganzes Paket von diesen grässlichen Lebkuchenherzen mit Aprikosenfüllung reinwürgen, wenn all das nur ein blöder Traum wäre. Auf den Knien rutschte er umher, bis er das Handy fand und die Taschenlampe einschalten konnte. Immer noch kein Netz. Kurz vor halb neun. Es kam ihm vor wie Mitternacht drei Tage später. Wie konnte es erst halb neun sein? Irgendwo in der Nähe knackste etwas, sofort richtete er den Lichtstrahl dorthin, leuchtete hektisch jede Ecke aus. Er war kein Abenteurer, er hatte Angst im Dunkeln, verdammt, er mochte keine Veränderungen, weder in Beziehungen noch, was seine Wohnsituation anging, und jetzt war alles auf einmal durcheinander und er wusste nicht, wohin mit sich. Er spürte flatternde Panik in sich aufsteigen und biss die Zähne aufeinander, bis es schmerzte. Sein Atem ging dennoch viel zu schnell, viel zu flach. Wo anfangen? Was tun?

Anrufen. Er fand das Telefon hinter dem Tresen, zwar ordentlich auf der nutzlosen Ladestation liegend, aber mit nur einem winzigen Balken Batterie. Wie viele Versuche hatte er? Wen sollte er anrufen? Die 112? Was konnten die schon ausrichten, bei dem Wetter kam kein Auto und kein Hubschrauber. Die lokale Polizei? Feuerwehr? Gab es hier im Dorf überhaupt eine oder musste die auch aus dem Tal kommen? Konnte er vergessen. Es war so elendig kalt, wie lange war Tania schon dort draußen? Er schnappte sich das Adressbüchlein neben der Ladestation und blätterte mit zitternden Fingern einmal durch, blieb an einem Namen hängen. Es war der einzige, der ihm etwas sagte. Und er erinnerte sich, das Festnetztelefon klingeln gehört zu haben.

»Bar Postigliun, hallo?«

Es knisterte in der Leitung, aber Florian erkannte Gions Stimme. »Hier ist Florian wir waren gestern Nachmittag bei dir in der Kneipe«, redete er ohne Punkt und Komma, »mit Emma und Tania du hast uns Röteli ausgegeben erinnerst du dich?

»Ah, ja, du hast Glück, Mann, ich wollte grad nach oben gehen, echt nix los heu…«

»Wir sind Gäste im Ruhehotel Onna«, unterbrach Florian ihn. »Wir sind eingeschneit und Tania irrt irgendwo draußen im Schnee umher und Chasper und Kati sind sie suchen gegangen. Wir brauchen Hilfe.«

»Wer ist Kati?«

»Scheiß drauf! Wir brauchen Hilfe! Die Batterie ist gleich …« Alle, hatte er noch sagen wollen, aber da war die Leitung auch schon tot. Florian hatte nicht mal mehr die Kraft, laut zu fluchen, sondern sackte nach vorn, platzierte seine Stirn auf dem Tresen und schloss die Augen. Bitte, bitte, bitte, das war alles, was er in Gedanken formen konnte. Bitte. Er schluckte die Tränen runter, er war doch ein Mann, aber dann war ihm das so was von egal und er weinte lautlos, er wusste nicht, wie lange. Als die Panik verebbt war, atmete er einmal tief durch, zweimal, straffte den Rücken und ging in die Küche, um Teebeutel zu suchen und einen Topf, bis ihm einfiel, dass der ja bereits im Kaminzimmer stand.

Die Tür, die Martha ihm vorhin vor der Nase geschlossen hatte, stand nun halb offen. Martha und Rebekka hatten ihre Sessel ganz nah aneinandergeschoben und Rebekkas Kopf lehnte an Marthas Schulter. Die Erschöpfung war ihr selbst im Halbdunkel anzusehen. Er hoffte, dass die drei Frauen nicht merkten, dass er geweint hatte. Obwohl …

»Wo ist Emma?«, fragte Florian, nahm den Kochtopf, der auf der Anrichte stand, um ihn mit Wasser zu füllen. Es käme doch noch Wasser aus der Leitung? Er schnaubte leise. Sonst war draußen genug Schnee, den man schmelzen könnte.

»Ist sie nicht bei dir?«, fragte Martha. »Sie wollte nach dir sehen, du warst so lange weg. Hast du jemanden erreicht?«

Florian stellte den Topf auf den Esstisch, lauter als beabsichtigt. »Ernsthaft, ihr habt sie aus den Augen gelassen? Was, wenn sie jetzt auch … Verdammt!« Er rannte zur Eingangstür, öffnete sie, fand keine Fußspuren, lief zur Hintertür, bog zu früh ab und stieß in der Dunkelheit mit der Schulter gegen die Ecke. »Ver…«, zischte er, tastete sich vorsichtig weiter und suchte mit der anderen Hand das Handy in seiner Hosentasche, um die Taschenlampe einzuschalten. Nur noch fünfzehn Prozent Batterie. Er hatte es noch aufladen wollen, bevor sie in die Sauna gingen!

»Emma?«, rief er und öffnete gleichzeitig die Tür, richtete den Lichtstrahl auf den Weg, den sie erst heute Morgen lachend und blödelnd freigeschaufelt hatten – und atmete aus. Auch hier keine frischen Fußspuren. Sie musste zumindest irgendwo im Haus sein. War sie vielleicht einfach nur auf die Toilette gegangen? In ihrem Zimmer? In dem Moment merkte er, dass der Wind nicht mehr so kräftig blies und auch der Schneefall deutlich nachgelassen hatte. Endlich. Er sehnte sich nach Sonne.

Die Stufen knarzten, als er nach oben stieg. Eine Netflix-Serie kam ihm in den Sinn, er hatte den Namen vergessen, aber Stromausfall, unheimliche Geräusche und das fahle Licht der Taschenlampe, das über halb geöffnete Zimmertüren strich, kamen ganz bestimmt darin vor, und was sich in den Zimmern verbarg, war nicht schön gewesen.

»Emma?« Seine Stimme klang dünn in seinen Ohren. Ganz vorsichtig stupste er die Tür an, natürlich quietschte sie leise, als sie aufschwang. Die Härchen in seinem Nacken stellten sich auf, Herrgott, reiß dich zusammen, Junge, schimpfte er in Gedanken, und dennoch erschrak er, als seine Taschenlampe ein Häufchen Elend auf dem Bett beleuchtete.

»Mensch, Emma!« Er keuchte. »Hättest du nicht was sagen können, ich hab dich gerufen! Was tust du überhaupt hier?«

Sie hob den Kopf. »Hab dich nicht gehört«, murmelte sie und ließ den Kopf wieder hängen. Aber die zwei Sekunden hatten gereicht, um zu sehen, dass auch sie geweint hatte. Auch wegen Tania, wahrscheinlich, nur nicht vor Sorge, sie zu verlieren, so wie er, sondern vor Enttäuschung, weil sie ihn Tanias wegen verloren hatte. Es tat ihm weh, sie so zu sehen.

»Hey«, sagte er, setzte sich zu ihr aufs Bett und nahm ihre Hand. »Du bist ganz kalt.«

Sie zuckte mit den Schultern. Die Taschenlampe strahlte die Zimmerdecke an, er schob sie ein wenig zur Seite.

»Du liebst sie, nicht wahr? Tania?«

Liebe war ein großes Wort. Er zögerte, suchte nach der richtigen Formulierung, aber es war sinnlos, Ausflüchte zu erfinden. »Ich mag sie. Ich empfinde etwas für sie, ja.«

»Mehr als für mich?«

Tatsächlich wäre er nun froh um vollkommene Dunkelheit. Ihr jetzt ins Gesicht sehen zu müssen, schaffte er nicht. Was war er bloß für ein Feigling. »Anders, Emma«, sagte er schließlich. »Es tut mir leid. Wirklich.«

Sie nickte und schniefte.

»Aber«, fuhr Florian fort, »ist es nicht so, dass wir schon länger mehr so tun als ob? Wenn wir ganz ehrlich sind? Weil es bequemer ist, als sich der Wahrheit zu stellen, weil du die Verbindung zu meinen Eltern nicht verlieren willst, die dir mehr Familie sind als deine eigenen?« Er beobachtete sie genau, unsicher, ob er nur seine Gedanken laut ausgesprochen oder er ihre mitformuliert hatte.

Sie setzte zum Sprechen an, schloss den Mund wieder, sackte noch ein klein wenig mehr in sich zusammen, als hätte die Erkenntnis ihr den letzten Halt geraubt.

»Das ist furchtbar, Flo«, sagte sie leise, »aber ich glaube, du hast recht.«

Ihre Schultern bebten. Florian zog sie zu sich heran, hielt sie, während sie weinte, und fühlte sich seltsam leer und voll zur selben Zeit. Liebe kam und ging, man konnte sie weder erzwingen noch festhalten. Eigentlich war sie wie Schnee, dachte er, wunderschön in den kleinen Details der einzelnen Flocken, eine erdrückende Last, wenn sie zu viel wurde, und konnte man sie nicht loslassen, löste sie sich auf und rann einem durch die Finger.

»Was machen wir denn jetzt?«, fragte Emma nach einigen Minuten mit brüchiger Stimme. Alles an ihr schien zu zittern, also rieb er mit den Händen kräftig über ihre Oberarme.

»Wir sollten nach unten in die Wärme gehen«, sagte er, wohl wissend, dass sie von ihrer Beziehung sprach. Nicht mehr ausweichen, du Feigling, schimpfte er mit sich, stieß energisch die Luft aus und sah Emma direkt ins Gesicht. »Du bedeutest mir nach wie vor viel, aber ich liebe dich nicht mehr, Emma. Das mit uns ist zu Ende, die Freundschaft hingegen kann vielleicht weiter bestehen. Bei meinen Eltern wirst du immer ein gern gesehener Gast sein. Aber jetzt … solltest du dich aufwärmen.«

Wenn aus Winter Wärme wird

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Astrid Töpfner

Astrid Töpfner wurde 1978 in der Schweiz geboren und wohnt sie seit 2005 mit ihrem Mann und den zwei Söhnen in Spanien. In ihren Geschichten spielen oft Familien und deren tief verwurzelte Konflikte eine grosse Rolle; wie unterschiedlich Personen mit Themen wie Liebe, Verlust, Eifersucht oder Schuldgefühlen umgehen. Es sind keine klassischen Liebesromane, aber dennoch spielt die Liebe immer mit - denn ganz ehrlich: Was wären wir schon ohne?

www.astrid-topfner.com / www.instagram.com/astrid_topfner

Astrid Töpfner