Tim Weingärtner, wann mussten Sie das letzte Mal Ihre Identitätskarte zeigen?
Als ich im Urlaub bei der Autovermietung war.
Falls die E-ID eingeführt wird, können wir künftig in solchen Situationen einfach unser Handy zücken?
Nein, die E-ID ersetzt die physische ID nicht, denn sie ist für die digitale Welt gedacht. Dort haben wir bis jetzt keine Möglichkeit, uns sicher und rechtsgültig auszuweisen – beispielsweise bei Diensten von Behörden oder in Onlineshops. Der Besitz der E-ID wäre aber optional. Die physische ID würde weiterhin bestehen.
Wenn ich heute online Alkohol kaufen möchte, werde ich aufgefordert, meine physische ID zu scannen. Ist das problematisch?
Aus Gründen der Privatsphäre ist das ein Albtraum, weil ich damit alle Daten meiner ID preisgebe: das Geburtsdatum, das Ausstellungsdatum, mein Bild, eine eindeutige Nummer und das Gültigkeitsdatum. Ich schicke also viel mehr Daten weiter, als für den Geschäftsvorgang tatsächlich benötigt wird. Wir sprechen dabei von «Überidentifikation». Das ist riskant, wie ein aktuelles Beispiel aus Italien zeigt. Dort sind Hacker in Buchungssysteme verschiedener Hotels eingedrungen und haben die Daten der Ausweispapiere von zehntausenden Urlaubern gestohlen und sie anschliessend im Darknet angeboten. Mit solchen Daten kann eine ID leicht gefälscht werden.
Ist das mit der E-ID nicht auch möglich?
Weniger leicht. Bleiben wir beim Online-Shopping. Der Shop teilt mir mit, welche Daten er von mir möchte. Ich entscheide dann, ob ich diese Daten preisgeben möchte oder nicht. Wenn ich beispielsweise Alkohol kaufe, muss der Shop weder meinen Namen noch mein Geburtsdatum wissen – die einzige Information, die er benötigt, ist, ob ich über 18 Jahre alt bin. Das heisst, ich übermittle nicht mein Geburtsdatum, sondern einen signierten Nachweis, dass ich über 18 bin. Weiterhin wird kryptografisch sichergestellt, dass der Shop meinen Nachweis nicht kopieren und sich in einem anderen Zusammenhang als meine Person ausgeben kann.
Und dieser Nachweis ist auf der E-ID zu finden, der von den Behörden offiziell als vertrauenswürdig und echt verifiziert wurde?
Genau. Wenn ich meine physische ID zeige, kann mein Gegenüber anhand von Sicherheitsmerkmalen wie Hologrammen überprüfen, ob die ID echt ist, ohne direkt beim Bund nachfragen zu müssen. Genau das bildet die E-ID in der digitalen Welt auch ab. Das nennt sich «Self-Sovereign Identity», kurz SSI. Die E-ID besitzt überprüfbare Sicherheitsmerkmale, die mir von einem Herausgeber ausgestellt werden. Diese Merkmale befinden sich in meinem digitalen Portemonnaie, der sogenannten Wallet, und die Daten liegen bei mir. Wenn ich mich ausweisen muss, erhalte ich eine Anfrage auf mein Handy. Dann kann ich entscheiden, ob ich die Daten übertragen möchte oder nicht.
E-ID: Fortschritt oder Risiko?
Die Schweizer Stimmbevölkerung stimmt am 28. September 2025 erneut über die Einführung einer staatlichen E-ID ab. Befürworterinnen und Befürworter betonen, dass eine digitale Identität den Alltag erheblich erleichtert: Behördengänge könnten schneller und sicherer online erledigt werden, Unternehmen würden von effizienteren Prozessen profitieren, und auch die Verwaltung könnte durch die einheitliche Lösung Kosten sparen. Zudem sehen sie in einer staatlich kontrollierten E-ID einen wichtigen Schritt zur digitalen Souveränität, da sensible Daten nicht bei privaten Anbietern liegen.
Gegner der E-ID argumentieren, dass mit dem neuen Gesetz eine digitale Identitätskarte geschaffen würde, die eine neuartige Form der Kontrolle im Internet etabliert und persönliche Daten künftig unnötig oft verarbeitet und gespeichert würden. Dies öffne «Big Tech» und der Überwachungsökonomie Tür und Tor, da sie Zugang zu sensiblen Daten der Bürgerinnen und Bürger erhielten. Zudem fehle es im Gesetz an entscheidenden Schutzgarantien.